Dokumentation

Bet Debora Berlin

ist eine der Gründerinnen von Bet Debora und nach wie vor in der Organisation aktiv.

Als Jüdinnen und Juden in Deutschland wuchsen wir mit dem Bewusstsein auf, in einem Land zu leben, in dem es kein lebendiges, vielfältiges Judentum mehr geben würde. Doch mit dem Fall des Eisernen Vorhangs eröffneten sich neue Perspektiven. Dank der Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wuchs die jüdische Gemeinschaft enorm. Die 1990er Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs. Viele „alteingesessene“ Jüdinnen und Juden packten endlich ihre Koffer aus und akzeptierten, dass im „Land der Täter“ jüdisches Leben eine Zukunft hatte, die sie mitgestalten wollten.

Überall im Land entstanden Minjanim, Initiativen und Gruppen, die mit neuen Ideen ein modernes Judentum gestalten wollten. Vor allem die Rolle der Frauen in den Gemeinden und Synagogen wurde hinterfragt und Gleichberechtigung eingefordert. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern vollzog sich diese Entwicklung. Die ersten Rabbinerinnen amtierten in Oldenburg, Minsk, Budapest und Paris (in Großbritannien sind seit 1975 Frauen im rabbinischen Amt).

Als wir vor zwanzig Jahren Bet Debora – das Haus der Debora – gründeten, wollten wir den Frauen, die sich als Rabbinerinnen, Kantorinnen, Wissen­schaftlerinnen, Künstlerinnen oder Aktivistinnen für eine Erneuerung jüdischen Lebens in Europa engagierten, einen Ort der Begegnung und des Lernens schaffen. Mehr als 200 Frauen und Männer folgten 1999 unserer Einladung zur ersten Tagung europäischer Rabbinerinnen, Kantorinnen, rabbinisch gelehrter und interessierter Jüdinnen und Juden nach Berlin. Die Aufbruchsstimmung des Treffens spiegelt sich in den Beiträgen dieses Journals wider.

Mit der Konferenz wurde ein Netzwerk geboren; weitere Tagungen in Berlin, Budapest, Sofia, Wien, London und Wrocław folgten. Dort trafen sich jüdische Frauen aus Ost- und West­europa, die religiös oder säkular waren, sich als orthodoxe, liberale oder Reform­jüdinnen verstanden, verschiedenen Generationen angehörten, sich innerhalb oder außerhalb der etablierten Gemeindestrukturen engagierten, in sehr verschiedenen jüdischen Gemeinschaften lebten. In den Bet Debora-Journalen, die dem ersten folgten, schrieben sie über ihre Perspektiven auf ein gendergerechtes, pluralistisches Judentum, auf die jüdische Geschichte und Tradition, ihr Wirken in jüdischen Gemeinden und Institutionen, ihr gesellschaftliches Engagement.

Was wünschen wir uns für die Zukunft? Wir möchten weiter wachsen, unser Netzwerk ausbauen, mit mehr Gruppen und Initiativen zusammenarbeiten, neue Mitstreiterinnen gewinnen. Wir wollen feministische Ideen in den jüdischen Mainstream bringen und jüdische Perspektiven in feministische Diskurse. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, aber auch in vielen Ländern Europas, ist inzwischen vielfältiger, pluralistischer geworden. Dennoch ist erst ein Anfang gemacht. Bislang scheint das Thema Gleichberechtigung vor allem im liberalen und konservativen Judentum eine Rolle zu spielen. Nach wie vor dominieren in vielen Einheitsgemeinden orthodoxe Synagogen, in denen Frauen keine religiösen Funktionen ausüben dürfen, sind Frauen in Synagogenvorständen oder Gemeindevertretungen unterrepräsentiert. Um mehr Verantwortung und Macht wahrzunehmen, müssen Frauen auch eine größere Chance haben, in den etablierten Strukturen Rollen zu übernehmen. Gleichzeitig müssen Initiativen und Gruppen außerhalb der etablierten Strukturen mehr Wertschätzung und Förderung erfahren. Dazu ist es auch notwendig, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen jüdischen Lebens als Ziel zu formulieren und dessen Umsetzung zu fördern.