GiD – Informationen & Kritik zu Gen- und Fortpflanzungstechnologie
Helga Satzinger
Dipl. Biol., Dr. rer. nat., Wissenschaftsgeschichte. Reader, Dept. of History, University College London: science and gender studies.1996 feierte das Gen-ethische Netzwerk sein 10-jähriges Bestehen, inzwischen hat es über 30 Jahre auf dem Buckel. Seit den 1980er Jahren liegt seine wesentliche Aufgabe darin, die „Öffentlichkeit über Forschungsziele, wissenschaftliche Entwicklungen, Anwendungen und Alternativen der Gen-, Bio- und Fortpflanzungstechniken sowie deren gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen“ zu informieren. Hauptmedium für diese Informationsarbeit ist der GiD, der Gen-ethische Informationsdienst, eine monatlich erscheinende, nicht kommerzielle Zeitschrift.
Blättert man durch die inzwischen fast 250 Hefte, erschließt sich eine kritische Diskussion der genannten Techniken gleichzeitig mit deren Entwicklung. Heilsversprechen und Flops lassen sich ebenso rekonstruieren wie Kontinuitäten, unerwartete Entwicklungen und Normalisierungsprozesse. Hier finden sich feministische Positionen der Anfangszeit des GiD Mitte der 1980er Jahre bis hin zur ganz aktuellen Debatte über mögliche – und dringend nötige – rechtliche Regelungen der Reproduktionsmedizin.
Für mich persönlich erinnert der GiD an eine höchst produktive, lebendige und intensive Zeit der politischen Arbeit in der internationalen Frauenbewegung. Ich war an der Gründung des GeN beteiligt. Die öffentliche Diskussion um die Gentechnik in allen Anwendungsbereichen und um Methoden der Reproduktionsmedizin wie In-vitro-Fertilisation und pränatale Diagnostik hatte eine enorme Breite erreicht. Ihre Dynamik speiste sich aus vielen, miteinander verwobenen Bewegungen der 1980er Jahre: Frauen, Frieden, Ökologie, Anti-AKW, Pro-Behinderten-Rechte und Gegen-Eugenik, Internationale Solidarität, Herrschafts- und Ausbeutungskritik, Aufarbeitung der NS-Geschichte im Hinblick auf Medizin, Wissenschaft und Technik uvm.
Die Grünen waren 1983 zum ersten Mal im Parlament Westdeutschlands vertreten mit dem damals ungewöhnlich hohen Frauenanteil an Abgeordneten von eins zu drei. 1984 wurde zum ersten Mal in der Deutschen Parlamentsgeschichte ein rein weiblicher Fraktionsvorstand gewählt. Die Professorin für Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte Erika Hickel formulierte im Ausschuss für Forschung und Technologie Grundzüge einer Technologie- und Wissenschaftskritik, zunächst am Beispiel der Atomenergie. Dann rückten Gentechnik und moderne Fortpflanzungstechniken in den Fokus, der 1987 zu einem ausführlichen „Sondervotum“ der parlamentarischen Enquete‑Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ führte.
Die Arbeit im Parlament wurde unterstützt durch eigene – unbezahlte – Arbeitsgruppen, die sich regelmäßig trafen, so auch die Arbeitsgemeinschaft Gentechnologie. Aus dieser interdisziplinären Gruppe, die bewusst geschlechter-paritätisch zusammengesetzt war, wurde 1986 das GeN als Verein in Westdeutschland gegründet mit dem Ziel, einen von der Parteipolitik unabhängigen, institutionellen Rahmen für die kritische Öffentlichkeitsarbeit zu schaffen und dabei auch den bereits existierenden Gen-ethischen Informationsdienst abzusichern. Personelle Überschneidungen gab es mit dem kurz zuvor gegründeten internationalen Netzwerk FINRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering), das sich auf internationaler Ebene dem Austausch von Informationen und der Entwicklung kritischer Einschätzungen der neuen Technologien aus feministischer Perspektive widmete.
Bis heute sind GiD und GeN unverzichtbare Medien der kritischen, auch feministischen, Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Folgen der Fortpflanzungs- und Gentechnologie, gleichzeitig sind sie eine wichtige Quelle für die historische Aufarbeitung dieser Auseinandersetzung.