Broschüre

Mili’s Tanz auf dem Eis

Katharina Karcher forscht und lehrt an der Universität Bristol. 2018 erscheint ihr Buch Sisters in Arms zu feministischer Militanz bei Assoziation A.

Als ich zum ersten Mal bei Archivrecherchen auf Mili’s Tanz auf dem Eis und andere Erklärungen der Roten Zora stieß, hatte ich noch nie von der Gruppe gehört. Die Rote Zora kannte ich nur als Figur aus Kurt Kläbers Buch Die Rote Zora und ihre Bande.

Kläbers Buch hatten die militanten feministischen Aktivistinnen, die ab 1977 unter dem Namen „Rote Zora“ agierten, natürlich auch gelesen. In einem EMMA-Interview von 1984 erklärte die Gruppe: „Die ‚rote Zora und ihre Bande‘ – das ist die wilde Göre, die die Reichen bestiehlt, um’s den Armen zu geben. Und Banden bilden, sich außerhalb der Gesetze zu bewegen, das scheint bis heute ein männliches Vorrecht zu sein. Dabei müssten doch gerade die tausend privaten und politischen Fesseln, mit denen wir als Mädchen und Frauen kaputtgeschnürt werden, uns massenhaft zu ‚Banditinnen‘ für unsere Freiheit, unsere Würde, unser Menschsein machen.“

Zwischen 1977 und 1995 bekannte sich die Rote Zora zu mehr als 40 Brandanschlägen, Bombenangriffen und anderen Anschlägen. Die Aktionen der Roten Zora richteten sich unter anderem gegen Sexshops, Forschungsinstitute, Großkonzerne sowie gegen den Privatbesitz von Frauenhändlern und sexistischen Ärzten. Das Ziel der Gruppe war dabei stets, patriarchale Strukturen anzugreifen und sexistische Gewalttäter zu konfrontieren. Obwohl bei den Aktionen der Roten Zora im Unterschied zu den Anschlägen der RAF, der Bewegung 2. Juni und anderen bewaffneten linken Gruppen in der BRD nie Menschen verletzt oder getötet wurden, galt die Gruppe als terroristische Vereinigung und wurde entsprechend verfolgt.

Die wohl bekannteste Anschlagsserie der Roten Zora ereignete sich im August 1987 und richtete sich gegen Filialen des deutschen Textilkonzerns Adler. Mitglieder der Roten Zora deponierten Brandsätze in neun westdeutschen Adler-Filialen, um den Arbeitskampf von Frauen in einer Adler-Fabrik in der südkoreanischen Freihandelszone Iri zu unterstützen. Wenig später erklärte die Konzernführung, dass man sich aus Angst vor weiteren Anschlägen entschieden habe, die Forderungen der Arbeiterinnen zu erfüllen.

Anders als die RAF war die Rote Zora lange nicht mehr als eine Fußnote in der Geschichte des „Linksterrorismus“ in der BRD und wurde auch in der feministischen Geschichtsschreibung kaum berücksichtigt. Genau in diesem Kontext ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den Aktionen und Ideen der Roten Zora längst überfällig. Das Diskussionspapier Mili’s Tanz auf dem Eis zeigt, warum.

Nachdem es nach einer großangelegten Fahndungsaktion im Dezember 1987 für einige Jahre recht still um die Rote Zora geworden war, meldete sich ein Teil der Gruppe im Jahr 1993 mit der Erklärung Mili’s Tanz auf dem Eis zurück. In dem Papier versuchten die Zoras gleich zwei Mythen zu entzaubern: die des zwangsläufig revolutionären bewaffneten Kampfes und die des inhärent gewaltfreien Feminismus. Dass dies für eine Gruppe, die sich sowohl als Teil der Frauenbewegung als auch als Teil der militanten Linken verstand, ein Drahtseilakt war, liegt auf der Hand.

Einer der Gründe, warum es auch heute noch spannend ist, Mili’s Tanz auf dem Eis zu lesen, ist, dass der Text zeigt, wie selbstkritisch, dynamisch und solidarisch feministische Theorie und Praxis sein kann. Zwei Aspekte finde ich in diesem Kontext besonders interessant: den offenen und kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte und die Kreativität und Leidenschaft, mit der die Gruppe gegen Sexismus und andere Formen von Unterdrückung kämpfte. Man muss die militante Position der Roten Zora also keineswegs teilen, um von der Lektüre von Mili’s Tanz auf dem Eis zu profitieren. Leidenschaft, Offenheit und die Fähigkeit zur Selbstkritik brauchen wir heute mehr als je zuvor.