Mösenhut und Mösenbutton
Christine Olderdissen
TV-Journalistin, Juristin und Videoproduzentin (christine-olderdissen.de). Sie bloggt unter anderem im Watch-Salon.Wenn dieser Anstecker reden könnte, würde er uns seine Geschichte erzählen. Wie er für eine D-Mark an eine Berliner Lesbe verkauft wurde, irgendwo zwischen Ku’damm und Nollendorfplatz, an einem sonnigen Samstag im Juni 1998, als Hunderttausende den Christopher Street Day feierten. Sie hat ihn an ihr T-Shirt gepinnt, hat ihre Freundin geküsst und ist dann dem Mösenmobil hinterhergetanzt, an der Siegessäule vorbei und durchs Brandenburger Tor hindurch bis zum Bebelplatz. Vielleicht hat sie auch mehr bezahlt, um mit ihrer Spende diese einzigartige Aktion zur Sichtbarkeit lesbischer Frauen finanziell zu unterstützen. Dieser ramponierte Button und mehrere hundert weitere waren Teil einer individuellen Spendenaktion, die sich eine Frau ausgedacht hatte, an die wir uns noch erinnern können, nur nicht an ihren Namen.
Weil der Button selbst nicht sprechen kann, will ich die Fakten liefern, die Geschichte gemacht haben, Lesbengeschichte beim Berliner CSD. Seit 1988 und damit seit bereits dreißig Jahren ist der Lesbische Freundinnenkreis mit genialen Aktionen, großen Pappschildern, witzigen Sprüchen und einheitlicher Kostümierung beim großen Ku’damm-CSD dabei. Wir sind fünfzehn Frauen, mal mehr, mal weniger. Wir gehen zu Fuß, performen eine Choreographie, die die Tänzerinnen unter uns erst im Zug improvisieren, und schütteln gern mal die Hände der Zuschauenden. Wenn wir im Trubel des Zuges auftauchen, werden wir schon erwartet: „Ach, da seid ihr ja wieder.“ Wir werden bejubelt und gefeiert und vielfach fotografiert. Manchmal werden wir in Zeitungsartikeln erwähnt, immer öfter sind wir in der Liveübertragung des rbb zu sehen oder tauchen im CSD-Berlin-Bericht der Tagesschau auf und korrigieren so das Bild von der angeblichen „Schwulenparade“.
Der CSD 1998 war außergewöhnlich, denn wir hatten das Mösenmobil. Auf einem LKW fuhren wir eine drei mal drei Meter große, knallrote Vulva spazieren. Sie hatte wulstige Lippen und eine reichlich vergrößerte Klitoris. Wir tanzten drum herum, Hohepriesterinnen gleich, in langen Kleidern aus goldenem, rotem und gelbem Pannesamt und passenden Hüten. Jeder der Hüte war mit einer liebevoll genähten Möse dekoriert, getoppt von einer Perle. Die durfte nicht fehlen. Die „Mösen in Bewegung“ war unsere größte Aktion, die für große Aufmerksamkeit sorgte und für die wir bis heute berühmt sind.
Die Materialien für den Bau der Möse, reichlich Styropor und sehr viel Farbe, der LKW, die Musikanlage, all das hat eine Menge Geld gekostet. Neben der monatelangen ehrenamtlichen Bauerei und Bastelei wollten wir die Materialien nicht auch noch aus eigener Tasche zahlen, und so haben wir uns Sponsorinnen und Sponsoren gesucht, die 100 DM hier, 500 DM da beisteuerten. Beim Motzstraßenfest hielten wir Besucherinnen und Besuchern eine Mösenspardose hin und baten um Unterstützung. So macht Spenden Spaß, fanden viele, und steckten fröhlich Münzen und Geldscheine durch den, nun ja, Schlitz. Dann kam eben jene Unbekannte auf uns zu und fragte, ob sie Mösenbuttons herstellen solle und für uns Spenden sammeln dürfe. Soviel Eigeninitiative begeisterte uns, und siehe da, das Mösenmobil war finanziert. Nun sorgten wir noch mit einem Antrag im CSD-Forum dafür, dass alle Lesbenwagen unübersehbar einen Lesbenblock an der Spitze der Parade bilden durften – und wir informierten den rbb. Die Kameras waren auf uns gerichtet und auf tausende Lesben, die mit uns um das Mösenmobil herumtanzten. Mehr lesbische Sichtbarkeit beim CSD war selten.