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„My Little Black Dress Is Not A Yes“ – SlutWalk Berlin

ist Autorin und macht politische Bildungsarbeit zu den Themen Körper­normierungen und queer-feministischer Aktivismus. Sie ist Mitglied der Mädchenmannschaft.

2010 und 2011 waren die Zeitungen voll mit Berichten über prominente, mächtige Männer, denen sex­ualisierte Gewalt vorgeworfen wurde. Diskutiert wurde aber nicht über Macht, Sex­ismus oder Ausbeutung, sondern über „Triebe“, „Sexskandale“ oder gar das „Fehlverhalten“ der Betroffenen. Mächtige Männer schienen unangreifbar. Prof. Dr. Ulrike Lembke sagte damals im Interview mit dem Missy Magazine, dass man in Deutschland „von einer weitgehenden faktischen Straflosigkeit sexualisierter Gewaltdelikte sprechen“ könne. Als Anfang 2011 der Ausspruch eines kanadischen Polizeibeamten kursierte, dass Frauen vermeiden sollten, sich „wie Schlampen [engl. „sluts“] zu kleiden“, um nicht belästigt zu werden, wirkte das wie eine Ölbombe in einem knisternden Lagerfeuer. Angelehnt an jene Aussage etablierten sich die so genannten Slut­Walks erst in Nordamerika und schwappten mittels sozialer Netzwerke schnell auch nach Deutschland über: Die Aktivist_innen hatten die Nase voll von sex­ualisierter Gewalt, alltäglicher Belästigung, Verharmlosung von Sexismus und Täter-Opfer-Umkehr.

Die Slut­Walks, allen voran der Berliner Slut­Walk, erhielten in Deutschland im Sommer 2011 eine enorme massenmediale Aufmerksamkeit. Sie setzten Themen wie Victim Blaming, Täter-Opfer-Umkehr und Vergewaltigungsmythen auf die mediale Agenda und zeigten sich parteilich für Betroffene sexualisierter Gewalt. Die Berichterstattung wechselte zwischen echtem Interesse, Sensationslust und Voyeurismus.

Früh folgten in der feministischen Blogosphäre Kritiken an den Demonstrationen. Diese bezogen sich vor allem auf den Aneignungsgedanken des Begriffs „slut“ („Schlampe“) und die Ausschlussmechanismen der Bewegung. Diskutiert wurde, wer von Begriffen in welcher Art und Weise betroffen ist, welche Geschichte(n) mit ihnen verbunden sind, wer für sich oder eine Gruppe von Menschen diskriminierende Wörter auszusprechen, sich anzueignen oder umzudeuten beanspruchen kann. So wurde etwa kritisiert, dass der Begriff „slut“ keineswegs eine universelle Kategorie weiblicher Erfahrung darstelle, sondern ein Begriff sei, der auf die spezifischen Erfahrungen weißer Frauen zurückgeführt werden kann.

Im August 2011 formulierten Hydra, die erste autonome Huren­organisation Deutschlands, und LesMigraS, der Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin e. V., eine öffentliche Kritik, die sich auch mit dem Aneignungsgedanken befasste. Sie schreiben: „Als ‚Schlampen‘ beschämt zu werden und sich für oder gegen Aneignung des Wortes zu entscheiden ist eng mit Sex­ismus, Trans*-, Homo- und Queerphobie, Rassismus, Klassismus, Ableism, Ageism und Sex­arbeiterinnen-Hass verknüpft.“

In der knappen Zeit, die zur Verfügung stand, um die ersten Slut­Walks zu organisieren, wurden die Kritiken weder genügend berücksichtigt noch konstruktiv bearbeitet. Unterschiedliche politische Verortungen (auch bedingt durch privilegierte soziale Positionierungen) sowie die variierenden Wissensstände zu komplexen gesellschaftlichen Machtstrukturen verhinderten eine (selbst-)kritische Arbeit. Das emanzipatorische Potential der Slut­Walks blieb also beschränkt. Sie trugen allerdings dazu bei, feministische Konzepte und Perspektiven zu sex­ualisierter Gewalt in die journalistische Berichterstattung zu bringen und diese nachhaltig zu verankern.