Susanne Matthes und
die feministische Berliner
Anti-Gewalt-Bewegung
Halina Bendkowski
Soziologin, Aktions-, feministische Frauen- und Männerforscherin. Sie ist die Begründerin des Konzepts der „Geschlechterdemokratie“.Susanne Matthes war sehr jung, 22 Jahre alt, als ihr Leben gewaltsam beendet wurde, von einem Fremden, der genauso alt war wie sie und so wie sie in Neukölln in der Silbersteinstraße lebte. Sie kannten sich nicht.
Susanne Matthes Ermordung am 23. November 1983 war der Albtraum aller, die Albträume haben, im Dunkeln von einem Fremden überfallen, vergewaltigt und ermordet zu werden.
Woher die Albträume kommen? Aus der Wirklichkeit solcher Überfälle in der polizeilichen Statistik, deren Zahlen jedoch allgemein geringer sind als die der ermordeten Frauen durch ihre Verwandten/Bekannten und Ehemänner. Aber vor nichts fürchtet sich jedes Mädchen und jede Frau so sehr, wie vor dem fremden Mann, der sie überfällt. Ist das erstaunlich? Nein. Aber paranoid, hysterisch warnen die Beschwichtiger, könnten die Frauen werden, wenn sie ihren Ängsten nachgeben, anstatt sich an den Zahlen zu halten und nicht an den Phantasien von Männern in der Kunst, in den Krimis und Thrillern irre zu gehen, die das „Frauenopfer“ massenhaft derartig lustvoll inszenieren, so dass der Begriff des „Lustmörders“ immer noch gängig ist. Die seit Jahrzehnten fällige Kritik an der pornografisierten Dauerunterhaltung sowohl in der Hoch- und U-Kunst als auch in der Alltagswerbung wird als politisch korrekt abgetan.
Dieser Mord von Susanne Matthes wurde (nicht nur) von der Boulevardpresse schlüpfrig rekonstruiert. Sie war vor ihrer Ermordung in der damals sehr beliebten Lesbendisco „Die 2“ gewesen und das animierte die Presse zu Phantasien über das Lesbenmilieu. Wir aus der Lesbenszene waren alarmiert und empört über die Berichterstattung der Polizei und Presse. Ich rief eine damals sehr aktive feministische Juristin an, um Rechtshilfe gegen solche Pressearbeit zu mobilisieren. Deren Freundin war so rachebewusst wie ich und wir machten uns auf den Weg, den Mörder zu finden.
Wir nahmen Kontakt zu den Freundinnen und zur Schwester von Susanne Matthes auf. Sie war die Tochter des Pfarrers der Herrnhuter Brüdergemeinde in Berlin-Neukölln, eine protestantisch-pietistische Freikirche, deren theologische Basis u. a. die Erlösungsbedürftigkeit jedes Menschen ist. Was sich für säkulare Menschen vielleicht freundlich anhört, bedeutet theologisch jedoch die völlige Sündenhaftigkeit und Schuld des Menschen, der sich dadurch Gottes Zorn und Verdammnis aussetzt. Wie in allen monotheistischen Religionen ist die Erlösung des Menschen allein durch Gottes Gnade möglich. Für Susanne Matthes gab es keine Gnade. Bei ihrer Beerdigung stellte die Frauenbewegung die Mehrheit der Trauernden. Ich hätte am liebsten Iris DeMents Song „God may forgive you (But I won’t)“ spielen lassen.
Die wütenden Demonstrationen der Frauenbewegung gegen sexistische Gewalt rund um die Silbersteinstraße beeindruckten den Mörder nicht. Er mordete bis 1995 weiter, als er viel zu spät festgenommen wurde. Die Polizei hatte bis dahin einen Falschen für sechs Jahre ins Gefängnis gebracht. Damals gab es noch keine DNA-Analysen. Wir, die wir nach dem brutalen Mord an Susanne Matthes in der Anti-Gewalt-Debatte aktiv wurden, forderten die Zulassung der DNA in der Forensik gegen den Willen unserer fortschrittlichen Politiker – eine Debatte, so schwierig wie die Heutige um den Einsatz der Videoüberwachung an Orten, wo Taten wegen der fehlenden Präsenz von Menschen zwar nicht verunmöglicht werden, aber die Täter doch eher gefasst werden können. Ich bin damals als Aktionsforscherin zu vielen forensischen Kongressen gefahren und habe Stimmung dafür gemacht. Erfolgreich insofern, weil die SexualforscherInnen jener Zeit begannen, sich nicht mehr der feministischen Kritik am „viktimisierten“ Täter entziehen zu können und wollen.