„What the fuck?!“ Demo-Aktionskit
Iris Zorn
studiert Geschichtswissenschaft und AVL an der Freien Universität Berlin. 2017 war sie für drei Monate als Praktikantin im FFBIZ tätig.„Sooo viel Glitzer!“, denke ich, als ich das kleine kompakte Tütchen mit dem schönen bunten Zeug zum ersten Mal sehe. Aber nicht nur das: Auch ein großer Batzen Konfetti, eine Trillerpfeife, Sticker und Kondome finden sich darin. Dann schweift mein Blick von dem einen zu den restlichen 499 „Aktionskits“. Die sollen wir alle noch fertig packen? Denn einiges fehlt noch in den durchsichtig schimmernden Wundertüten. Aber nicht verzagen, Fließbandkette! Also beginnt eine* Flyer mit Infos zum FLTI*-Block und Demosprüchen („My body, my choice – raise your voice!“) zu falten, die andere* schneidet die „Do It Yourself-Lecktuch“-Anleitungen aus, die nächste* legt Sticker zu „Sexarbeit ist Arbeit“ bei. Die Stimmung ist gut, ausgelassen, es wird viel gelacht.
Der Anlass war wenig erheiternd: Am 16. September 2017 veranstalteten erneut selbsterklärte „LebensschützerInnen“ den „Marsch für das Leben“ in Berlin zum Gedenken an die durch Abtreibung „getöteten Kinder“. Für sie stellt hierbei schon die befruchtete Eizelle ein schützenswertes Menschenleben dar. Weiße Kreuze, die von christlichen FundamentalistInnen, Anhängern der Identitären Bewegung, CDU- und AFD-Mitgliedern sowie anderen AbtreibungsgegnerInnen getragen werden, sind das unverkennbare Markenzeichen dieser reaktionären Bewegung.
Vier Tage vor dem „Schweigemarsch“ liefen die Vorbereitungen des queerfeministischen Bündnisses „What the Fuck?!“ für die Gegendemonstration auf Hochtouren. Neben der Legalisierung von Abtreibungen setzt sich das Bündnis für Pränataldiagnostik ohne Selektion und eine flächendeckende Unterstützung für Menschen mit Behinderung ein. Dem heterosexistischen Weltbild der „LebensschützerInnen“ (Familie = Vater, Mutter, Kind) wird dabei die Parole entgegengestellt: „Wir wollen lieben, wen und wie wir wollen!“ Auf der Demo sollten die Aktionskits sowohl für Stimmung sorgen (Trillerpfeife! Glitzer! Konfetti!), als auch über transfeindliche Demosprüche und -symboliken informieren.
Schon bei der Ankunft am Demostartpunkt Wittenbergplatz wurde deutlich: Feminismus stört. Zahlreiche Taschen- und Körperkontrollen seitens der Polizei sowie das wiederholt geforderte Ausrollen derselben Transparente sollten klarstellen, wer über wen Macht ausübt. Sogar von sexueller Belästigung seitens der Polizei wurde später von mehreren Demoteilnehmer*innen berichtet. Und da „Glitzerwerfen“ schon bei den „WTF?!“-Protesten 2015 als Körperverletzung eingestuft und deshalb eine gefährliche glitzerschleudernde Aktivistin zu einer Geldstrafe von 1 500 Euro verurteilt wurde, wurden die 500 Aktionskits in diesem Jahr gleich präventiv in Gewahrsam genommen.
Das war zwar ärgerlich und ziemlich unverhältnismäßig, konnte eine lautstarke, bunte und empowernde Demonstration mit ca. 2 000 Teilnehmenden jedoch nicht verhindern. Neben der Gegendemo des „WTF?!“-Bündnisses und der danach stattfindenden Demo des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung fanden zahlreiche weitere Aktionen statt. So konnte die Route der AbtreibungsgegnerInnen durch eine Blockade verkürzt werden und Aktivist*innen schafften es immer wieder, die „LebensschützerInnen“ in ihrem Antifeminismus und Sexismus zu stören.
Selbst wenn der Termin für den nächsten „Marsch für das Leben“ schon feststeht, zeigt die Teilnehmendenzahl des Jahres 2017 einen starken Rückgang der Bewegung – von bisher ca. 5 000 auf 3 500. Ohne lautstarke Gegenproteste werden die AbtreibungsgegnerInnen auch 2018 nicht durch Berlin ziehen können. Ich persönlich halte mich dann erneut frei an das Motto: „Der eine schweigt und der andere schreit!“ Und schreien werden wir, denn dann heißt es wieder: „Lasst es glitzern, lasst es krachen – Fundis ham’ heut nix zu lachen!“