Brettspiel

„Durch den Dschungel der Sex­ualität und Ver­hütung“

ist seit 1988 Sexualpädagogin und -beraterin bei pro familia. Außerdem ist sie Referentin/Dozentin an Hochschulen und Fort­bildungsträgern.

Dieses Spiel haben wir in der pro familia Berlin Ende der 80er Jahre in unseren Methodenpool aufgenommen. Ich war damals sehr erfreut, weil Spiele zu diesem Thema äußerst rar waren. Zunächst haben wir es selber ausprobiert und für den Einsatz mit kleinen Gruppen für gut erachtet. Ich arbeitete damals mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit und ohne Beeinträchtigung und setzte es auch bei Paaren in der Beratung ein. Es war stimmig für seine Zeit. Wir arbeiteten damals mit der emanzipatorischen Sexualpädagogik, welche für individuelle Begleitung und für Lebenskompetenzförderung stand und moralische Grundsätze vermied. Die Zeit war vom Ringen um das Verhältnis zwischen Freiheit und Grenzen gekennzeichnet. Das Individuum und sein sexuelles Erleben rückten stärker in den Fokus der Gesellschaft.

Das Spiel Durch den Dschungel… markierte einen Wendepunkt, denn auf der einen Seite repräsentierte es die pragmatische Sexual­erziehung und auf der anderen Seite rückte der einzelne Mensch mit seinen Haltungen und Erfahrungen in den Mittelpunkt. Eine der Fragen des Spiels – „Wie oft darf man Sex haben?“ – machte dies deutlich. Die Aufklärung im eigentlichen Sinne zeigte sich in der Wissensvermittlung über körperliche Vorgänge und insbesondere auch durch die Betonung von Partnerschaft, Verantwortung und Liebe. Alle Verhütungsmittel wurden erklärt: Pille, Spirale, Dia­phragma, Temperatur­methode bis zur Sterilisation. Es war uns wichtig, den Blick auf Verhütung zu erweitern, da die Pille dominierte. In der pro familia Berlin wurden zu dieser Zeit auch Diaphragma-Gruppen für die Handhabung der Barrieremethode angeboten.

Heute würde dieses Setting den ratsuchenden Frauen eigentümlich erscheinen. Zu der damaligen Zeit gingen die Sexualpädagog*innen noch mit dem pro familia-Verhütungskoffer in die Schulklassen und die Präventionsbotschaften hinsichtlich HIV und Aids hatten hohe Relevanz. Das Thema sexualisierte Gewalt war kein Tabu mehr und die sexualpädagogische Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen mit Beein­trächtigung war ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Nordische Länder wurden im emanzipatorischen Sinne Vorbild und der Film Sex – eine Gebrauchsanweisung für Jugendliche ein Renner. In Deutschland erschienen zur selben Zeit Bücher wie Das Aufklärungsbuch von Schneider/Rieger, welches sich humorvoll mit Cartoons an Jugendliche in der Pubertät wandte. Ebenfalls wurde das pro familia-Buch für Kinder Mein Körper gehört mir veröffentlicht.

Die emanzipatorische Sexualpädagogik verbreitete seit ihrer Grundlegung in den 70er Jahren eine gesellschaftskritische Befreiung des Menschen aus seiner sexuellen Unmündigkeit, aber hatte eher einen defizitorientierten Blick. Schaut man heute auf den Bereich der sexuellen Bildung, so war es Ende der 80er und bis in die 90er hinein doch recht hetero­normativ ausgerichtet. Sexualpädagogik der Vielfalt war noch lange kein Standard.

Heute, 2018: Viele Geschlechter, viele Möglichkeiten, Sexualität, Beziehung, Vielfalt zu lieben und zu leben, der Dschungel ist größer geworden. Er bietet damit mehr Raum, sich selbst zu entfalten, aber auch die Möglichkeiten, sich zu verlaufen, sind größer geworden. Sexuelle Bildung ist darum heute genauso wichtig wie damals.