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Frauenstreik 1994 – 8. März
Schluss! Uns Reicht’s!

Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, Autorin und Aktivistin, Berlin. Redakteurin von LunaPark21, Heraus­geberin des Kalenders Wegbereiterinnen.

Das Motiv hängt als großes Plakat in meinem Flur. Es erinnert an den bundesweiten Frauen­streik am Internationalen Frauentag 1994. Über dessen Entstehung gibt es verschiedene Erzählungen. Die Idee lag einfach in der Luft. Für mich war es eine tolle Erfahrung, dass sechs Frauen, die von einer Konferenz gemeinsam nach Hause fuhren und sagten: „Ja, wir organisieren den Streik“, so eine große Aktion, die die gesamte gerade wiedervereinigte Bundesrepublik betraf, lostreten konnten. Wir ernannten uns selbst zum Streikkomitee Köln/Bonn und trafen uns zunächst in meiner Wohnung, dann im Büro der beiträge zur feministischen theorie und praxis, deren Redaktion ich angehörte. Es war nicht leicht, sich auf den gemeinsamen Aufruf zu einigen, aber wir waren stolz, als wir es geschafft hatten. Im Herbst 1992 legten wir einen ersten Entwurf für einen Aufruf vor, stimmten ihn mit dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) ab, der in der Zwischenzeit in Berlin (Ost) ebenfalls ein Streikkomitee gegründet hatte, sammelten Unterschriften und fanden viele, die sich von der Idee anstecken ließen. Wir saßen mit Frauen zusammen, die wir sonst vielleicht nicht kennen gelernt hätten. Ein „erweiterter Arbeitsbegriff“ schloss für Feministinnen schon lange Haus- und Sorgearbeiten und ehrenamtliche Gratisarbeiten ein, deshalb sollte auch der traditionelle Streikbegriff erweitert werden.

Unter dem Motto „Jetzt ist Schluss! – Uns reicht’s!“ richtete sich der Aufruf gegen die vielfältig bestehende Frauendiskriminierung nach der „Wende“, gegen den Abbau von Grundrechten und Sozialleistungen, gegen Gewalt, für gleiche Rechte für Flüchtlinge und Migrantinnen, für vielfältige Lebensformen und Selbst­bestimmung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft. Aufgerufen wurde zur Verweigerung der (jetzt) bezahlt und der (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeit in Produktion und Reproduktion. Ein solcher Streik war ein Novum. „Frauen sagen Nein!“, war der Aufruf überschrieben, der die Initialzündung für die erste Frauenstreikaktion gab, die von ost- und westdeutschen Frauen gemeinsam getragen wurde. Viele organisierte und autonome Frauen, Gewerkschafterinnen, Kirchenfrauen und andere waren auf der Unterschriftenliste und entwickelten Formen des Protests. Zu betrieblichen Streiks riefen die Gewerkschaften leider nicht auf, machten jedoch ebenso Vorschläge für vielfältige Aktio­nen in Betrieben, Verwaltungen und auf der Straße. Lokale und regionale Streikkomitees schossen wie Pilze aus dem Boden. Es kam zu einem seltenen Schulterschluss. Mehr als eine Million Frauen gingen auf die Straße, besetzten Plätze und agitierten in Kaufhäusern, Betrieben und anderswo. Sie teilten die Position der damaligen Frauenministerin Angela Merkel nicht, die geschrieben hatte: „Als Frauenministerin setze ich mich täglich für die Belange der Frauen ein … Der Frauenstreiktag ist ein spektakuläres Ereignis … Ich werde jedenfalls nicht streiken, sondern die geplante Kabinettsitzung besuchen.“ Vom Fenster aus konnte sie die zahlreichen bunten Aktionen beobachten, an denen sich auch Frauen beteiligten, die zuvor noch nie für ein politisches Anliegen auf die Straße gegangen waren. Leider wurde zu wenig daran angeknüpft. Die Forderungen haben sich auch 24 Jahre später nicht erledigt.